New York und Kuba haben es vorgemacht, Berlin
macht es nach: In der Hauptstadt gibt es inzwischen mehr als 60
Gemeinschaftsgärten und Dutzende alternative
Landwirtschaftsprojekte.
Berlin (dapd). New York und Kuba haben es vorgemacht, Berlin
macht es nach: In der Hauptstadt gibt es inzwischen mehr als 60
Gemeinschaftsgärten und Dutzende alternative
Landwirtschaftsprojekte. Am Dienstag besuchte Bundesagrarministerin
Ilse Aigner zwei dieser „Urban Farming“-Projekte: ein
Gemeinschaftsgarten mit mehr als 700 Freizeitgärtnern auf dem
ehemaligen Flughafen Tempelhof und eine Kombination aus Tomatenanbau
und Buntbarschen auf dem Gelände der alten Malzfabrik in Schöneberg.
„Urban Farming ist eine beeindruckende Idee“, sagt die
CSU-Politikerin. „Die Menschen bekommen wieder einen Bezug zur
Landwirtschaft – sie sehen, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie
viel Arbeit und Energie drinsteckt.“ Mittlerweile glaubten doch
viele Kinder, dass Karotten auf Bäumen wachsen.
Auf ihrer „Klassenfahrt“ mit einem Tross Journalisten macht die
Ministerin zunächst auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof Station.
2008 wurde der innerstädtische Airport geschlossen. Auf den 303
Hektar großen Freiflächen, die seit Mai 2010 für die Öffentlichkeit
zugänglich sind, soll die „Tempelhofer Freiheit“ verwirklicht
werden.
Dazu gehört auch das Gartenprojekt Allmende Kontor mit mehr als
300 Hochbeeten, auf denen neben Obst und Gemüse auch Unkräuter in
allen Farben sprießen. Für Severin Halder, einem von 13
Verantwortlichen für das Projekt, ist neben der ehemaligen Landebahn
ein „Wissensspeicher und Lernort“ entstanden. Das Hirschgeweih aus
Plastik an einem Hochbeet und die Salatpflanzen, die aus grauen
Plastik-Wasserrohren spießen, sind sicher nicht die Art Garten, die
Aigner zu Hause am Tegernsee hat.
Dort wachsen ihr „die Kirschen fast ins Fenster rein“, berichtet
die Ministerin. In Tempelhof zupft sie einen Stängel Petersilie und
sagt in die Kameras, das Projekt sei ein gutes Beispiel dafür, wie
man Brachflächen in der Stadt wieder sinnvoll nutzen kann. „Wo
früher Flugzeuge landeten, wachsen heute Tomaten, Gurken und
Zucchini.“
Mit den fast 70.000 Kleingärten, die Berlin zur deutschen
Schrebergarten-Metropole machen, haben die Holzverschläge auf dem
Flughafen so gut wie nichts gemeinsam. Aber hier treffen sich Leute
aus aller Herren Länder und bauen das an, was sie wollen – essbar
oder eben nicht. Die Gemeinschaft zählt, nicht der Ertrag.
Zwtl.: 200 Buntbarsche in der alten Mälzerei
Nicht auf Selbstversorgung und Weiterbildung wie Allmende Kontor,
sondern auf urbane Landwirtschaft in großem Stil zielt das
Start-up-Unternehmen „Efficient City Farming“. Es will die
Hauptstädter mit dem „Tomatenfisch“ versorgen. Derzeit steht auf dem
Gelände der alten Malzfabrik in Schöneberg ein Schaucontainer mit
200 Buntbarschen und 100 Gemüsepflanzen wie Tomaten und Gurken.
Sven Würzt vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und
Binnenfischerei erklärt Aigner die Grundidee des Projekts: Die
Fische liefern den Dünger, die Tomaten stehen – natürlich räumlich
getrennt von den Fischen – in deren Wasser. Für Pflanzen schädliche
Stoffwechselprodukte werden zuvor in einer überdimensionalen
Filteranlage in den Pflanzennährstoff Nitrat umgewandelt.
Derzeit können die Berliner noch für 20 Euro eine
Fischpatenschaft übernehmen. Sobald das Tier etwa 300 Gramm schwer
ist, kann der Barsch (Tilapia) frisch von Grill verzehrt oder zu
Hause in der Pfanne gebraten werden. Es gibt nur ein großes
Aquarium. Doch bald soll eine rund 1.000 Quadratmeter große
Stadtfarm entstehen. In der alten Mälzerei werden nach dem Umbau die
Fische in die alten Riesenbottiche einziehen. Auf einem der
Fabrikdächer soll auf 7.000 Quadratmeter Gemüse sprießen.
Aigner hat für diese Zukunftsmusik durchaus offene Ohren. „Das
hier ist eine Ergänzung zur herkömmlichen Produktion“, sagt die
Agrarministerin auf dem Dach der alten Mälzerei. In den nächsten 40
Jahren muss nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO die
Agrarproduktion um 60 Prozent gesteigert werden, um die wachsende
Weltbevölkerung zu versorgen.
„Dazu ist es einerseits wichtig, die Lebensmittelverschwendung zu
reduzieren“, weist Aigner auf eines ihrer Lieblingsthemen hin. Aber
gleichzeitig müsse gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern
jeder Hektar Land genutzt werden. „Deshalb sind innovative Lösungen
besonders zur Versorgung von Großstädten wichtig“ – und eine solche
Lösung könnte der „Tomatenfisch“ sein.
(Die Projekte im Internet: www.allmende-kontor.de und
www.ecf-center.de )
dapd.djn/T2012071751499/vf/mwa
(Berlin)