London (dapd). Gibt es bald die Anti-Alkohol-Pille? Zumindest ein erster Schritt in diese Richtung scheint nun gelungen: Ein amerikanisch-chinesisches Forscherteam hat Enzyme in winzigen Partikeln eingeschlossen und damit den Alkoholabbau im Blut von Mäusen beschleunigt. Das funktionierte sowohl vorbeugend, wenn die Tiere die Nanoteilchen zusammen mit dem Alkohol zu sich nahmen, wie auch therapeutisch, wenn ihnen die Partikel erst nach dem Alkoholkonsum gespritzt wurden.

Die Erforschung des Systems steht allerdings noch ganz am Anfang: Die Forscher können bisher weder etwas über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung sagen, noch darüber, ob sie überhaupt irgendwann einmal beim Menschen eingesetzt werden kann. Ihre Arbeit beschreibt das Team um Yang Liu von der Nankai University in Tianjin im Fachmagazin "Nature Nanotechnology" (doi: 10.1038/nnano.2012.264).

Die neuartigen Nanopartikel bestehen aus zwei Enzymen, die die Wissenschaftler miteinander koppelten und mit einer kunststoffartigen Hülle überzogen. Vorbild dafür war das Prinzip des Körpers, Enzyme nur selten alleine arbeiten zu lassen. Stattdessen gehören die meisten dieser Biokatalysatoren zu einer Gruppe oder gar einer ganzen Kette verschiedener Enzyme, die miteinander kooperieren. Häufig wird beispielsweise das Produkt des ersten Enzyms direkt an das nächste weitergereicht, so dass nur minimale Verluste entstehen. Alternativ kann es auch sein, dass einer der Partner die Hauptarbeit übernimmt und ein anderer die dabei entstehenden giftigen Abfälle unschädlich macht. Genau dieses Prinzip nutzten die Wissenschaftler auch für ihre Alkohol-Eliminierungs-Partikel.

Enzyme arbeiten dank Polymerhülle eng zusammen

Die Hauptarbeit machte in ihrem Fall ein Enzym namens Alkoholoxidase. Es zerlegt Alkohol, indem es ihn oxidiert und dabei gleichzeitig aus Sauerstoff Wasserstoffperoxid erzeugt. Dieses Nebenprodukt ist jedoch ein Problem: Es bremst einerseits die Oxidase und kann andererseits das umgebende Gewebe beschädigen. Hier springt dann der zweite Partner ein, die Katalase: Sie kann Wasserstoffperoxid in völlig harmloses Wasser und in Sauerstoff verwandeln, der dann wieder für den Alkoholabbau genutzt werden kann. Entscheidend dabei sei es, die beiden Enyzme räumlich möglichst eng zusammenzubringen, was ihnen durch das Einschließen in der Polymerhülle gelungen sei, erläutern die Forscher. Die Hülle hatte zudem noch den praktischen Nebeneffekt, dass sie die beiden Biokatalysatoren vor Hitze und der Zersetzung durch andere Enzyme schützte.

Betrunkene Versuchstiere wurden schneller wieder nüchtern

Der erste Praxistest erfolgte bei völlig betrunkenen Mäusen. Sie hatten in Bezug auf ihr Körpergewicht so viel Alkohol intus wie ein durchschnittlich schwerer Mann nach zehn Litern Bier. Einige der Tiere bekamen die Nanoteilchen zusammen mit der Alkoholdosis, anderen wurden sie erst später injiziert. In beiden Gruppen zeigten sich positive Auswirkungen, beobachteten die Forscher: Die behandelten Mäuse wachten beispielsweise ein bis zwei Stunden früher aus ihrem Rausch auf als ihre unbehandelten Artgenossen. Auch ihr Blutalkoholspiegel sank deutlich schneller. Nach drei Stunden etwa lag er bei den behandelten Tieren um etwa 35 Prozent unter dem Ausgangswert, während er bei den unbehandelten um nicht einmal zehn Prozent gesunken war.

Giftiges Nebenprodukt von Alkoholabbau unschädlich machen

Bevor man allerdings auch nur über klinische Studien nachdenken könne, müsse das System noch weiter verbessert werden, erklären die Wissenschaftler. Es sei nämlich zwingend erforderlich, ein drittes Enzym in den Komplex zu integrieren – und zwar eines, mit dem sich das zweite giftige Nebenprodukt des Alkoholabbaus, das Acetaldehyd, unschädlich machen lässt. Diese Substanz gilt als hauptverantwortlich für die unangenehmen Symptome eines Katers nach Alkoholkonsum und schädigt in größeren Mengen beispielsweise die Leber und die Nieren. Auch müsste getestet werden, wie sich die Nanoteilchen abbauen lassen. Die aktuelle Version scheint vom Körper nicht ausgeschieden und auch nicht verdaut werden zu können, was im klinischen Einsatz natürlich sehr problematisch sei.

Einsatz bei Alkoholvergiftungen oder als Lifestyle-Medikament

Giftig sind die Teilchen aber wohl nicht – keine der Mäuse zeigte Anzeichen von schweren Nebenwirkungen, berichtet Co-Autor Yunfeng Lu. Er ist überzeugt, dass der Ansatz einmal Einzug in die Klinik halten wird. Denn im Gegensatz zu bisherigen Therapien blockiere er nicht nur die Wirkung des Alkohols etwa im Gehirn, sondern senke aktiv den Blutalkoholspiegel. Damit schützt er auch die Organe vor Schäden durch das Trinken, betont er.

Für wen ein solches Medikament später einmal gedacht sein wird, sei aber noch unklar. Am ehesten würde es vermutlich bei akuten Alkoholvergiftungen im Krankenhaus eingesetzt werden. Denkbar sind seiner Ansicht aber ebenso ein Einsatz bei Alkoholikern oder sogar als Lifestyle-Medikament, um bei einer Party mehr trinken zu können. "Man muss ja berücksichtigen, dass Alkoholkonsum eine jahrtausendealte Kultur hat. Alles, was wir tun können, um die schlechte Seite davon zu minimieren, ist immer gut", findet der Wissenschaftler.

dapd