Köln (dapd). Seitensprünge sind nichts Ungewöhnliches. Etwa 90 Prozent der Menschen in einer Partnerschaft sollen mindestens einmal sexuellen Kontakt außerhalb ihrer festen Beziehung gehabt haben, zitiert die Kölner Psychotherapeutin Gerhild von Müller aus wissenschaftlichen Studien. Viele quält allerdings danach das schlechte Gewissen. Sie schwanken zwischen Verheimlichung und Offenbarungsdrang.
"Die Frage: ‚Sag ich es oder sag ich es nicht‘, sollte nicht an erster Stelle stehen. Das würde nämlich bedeuten, dem ahnungslosen Partner den eigenen Zwiespalt quasi vor die Füße zu werfen, bevor man ihn mit sich selbst geklärt hat", betont die Paartherapeutin.
Eine Liebesnacht mit einem anderen müsse man erst einmal für sich bewerten. Das bedeute, sich mit seinem Gewissen auseinanderzusetzen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ein Seitensprung sei zunächst das eigene Problem, nicht das des Partners. Um Klarheit zu erlangen, könnte man sich fragen: War es im Rausch des Momentes oder suche ich anderswo etwas, das mir in meiner bisherigen Partnerschaft fehlt?
"Erst wenn man diesen Schritt durchlaufen und einen halbwegs klaren Kopf hat, entscheidet man, ob man es mitteilt", empfiehlt die Psychologin. Dann wisse man auch, ob sich etwas an der Beziehung ändern müsse oder nicht. Sinnvoll sei auch, sich mit einer außenstehenden Person zu beraten. "Diese Person muss aber sehr sorgfältig ausgesucht sein", betont die Expertin. Sie sollte keine vorgefertigte Meinung haben und offen sein für die Gefühle des Gesprächspartners.
Anstoß für Persönlichkeitsentwicklung
Ausschlaggebend für das Offenbaren oder Für-Sich-Behalten sei, welches Motiv dem sexuellen Abenteuer zugrunde liegt. "Wenn ich erotische Belebung außerhalb einer festen Beziehung finde und ich diese Belebung in die Partnerschaft wieder hineintragen kann, dann muss ich mich nicht rechtfertigen, woher mein neuer Elan kommt", sagt von Müller. "Manche suchen in einem Seitensprung auch Bestätigung. Sie wollen wissen, ob sie für andere sexuell noch interessant sind, und erleben sich damit wieder als eigenständige Person", erläutert die Expertin.
"Fremdgehen kann ein Anstoß zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung sein", gibt sie zu bedenken. "Oft ist es ein Indiz dafür, dass die Beziehung in einer Krise steckt, und ein Motor, dass beide sich weiterentwickeln müssen", betont von Müller und resümiert: "Derjenige, der bewusst oder unbewusst ausgebrochen ist, hat Fakten geschaffen, so dass an der Partnerschaft gearbeitet werden muss. Mit welchem Ergebnis, ob Trennung oder besseres Zusammenleben, wird sich zeigen."
dapd