Hamburg/Köln (dapd). Gemütliche Weinabende, ausgelassene Partys und immer eine Schulter zum Anlehnen in der Nähe – das Leben in einer Wohngemeinschaft kann die reinste Freude sein. Wenn sich mehrere Menschen Bad, Küche und Monatsmiete teilen, gibt es allerdings auch schnell mal Zoff. "Konflikte unter WG-Bewohnern können besonders tiefgehende Gefühle berühren", weiß Ludger Büter vom Studentenwerk Köln. Wenn sich jemand beispielsweise so sehr vor dem Badezimmer ekle, dass er nur noch bei Freunden duscht, sei das ein ernstes Problem. "Das eigene Zuhause sollte eigentlich ein Ort sein, an dem man entspannen und Kraft tanken kann – Streit mit den Mitbewohnern ist daher oft sehr belastend", sagt der Experte, der als Mediator bei Konflikten zwischen den Bewohnern der Kölner Studentenwohnheime vermittelt.
Laut Büter sind Hygiene und Lärm die häufigsten Streitthemen in Wohngemeinschaften. Haare im Abfluss, nicht gespültes Geschirr, laute Telefonate oder Musik bis spät in die Nacht – all diese Dinge sorgen regelmäßig für Verdruss. Das Problem sei, dass die Bewohner oft sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben haben. "Jeder wurde anders erzogen, hat andere Werte mitbekommen", erinnert Büter. Man könne daher nicht davon ausgehen, dass bestimmte Verhaltensregeln für alle selbstverständlich sind. Während den einen beim Anblick von zwei Wollmäusen das Grausen packt, könnte der andere vier Wochen ohne Staubsaugen auskommen.
Auch der Hamburger Psychologe Jochen Waibel kennt die Tücken des WG-Lebens: "Wer mit anderen zusammenlebt, muss kompromissbereit und dialogfähig sein", betont der Familien- und Wirtschaftsmediator, der vom Mehrbettzimmer im Internat über eine WG mit Pärchen bis hin zum Familienleben schon verschiedenste Wohnformen ausprobiert hat. Seine Erfahrung: Um Konflikte zu vermeiden, sind klare Absprachen wichtig. "Am besten setzt man sich zusammen und legt ein paar Regeln fest, an die sich dann alle halten", sagt Waibel.
So könne man sich beispielsweise darüber einigen, wem welches Kühlschrankfach gehört und wo die einzelnen Bewohner ihre Badezimmerutensilien aufbewahren können. "Es nervt einfach, wenn man jeden Morgen seine Creme suchen muss, weil jemand sie wieder irgendwo anders hingestellt hat", sagt Waibel. Je klarer die Privatsachen getrennt würden, desto weniger Reibungspunkte gebe es.
Auch in puncto Sauberkeit müsse man klare Regeln aufstellen – etwa, dass jeder sein Geschirr nach Benutzung spült und auch aufräumt und dass Essensreste vom Verursacher aus dem Abfluss entfernt werden. "Es ist auch keine Schande, einen festen Putzplan einzurichten", ergänzt Ludger Büter. Der WG-Mediator rät, auch zu besprechen, wie oft Freunde kommen dürfen und wie lange solche Besuche höchstens dauern sollten. "Wenn die Freundin eines Mitbewohners quasi mit einzieht, sich aus dem Kühlschrank bedient und die Wartezeiten vor dem Bad verlängert, kann das schwierig werden", gibt der Experte zu bedenken.
Dass sich alle Mitbewohner an diese Vereinbarungen halten, sollte selbstverständlich sein. "Schließlich kann jeder diese Regeln mitgestalten – sie werden nicht etwa von außen aufgedrängt", sagt Büter. Das beste Mittel, um andere zum Mitmachen zu animieren, sei, mit gutem Beispiel voranzugehen. "Es ist außerdem wichtig, nicht nur stur auf seinen Rechten und den Pflichten der anderen zu beharren, sondern beispielsweise auch mal die Tasse des Mitbewohners mit abzuspülen", sagt der Psychologe. Solche Gesten erzeugten oft eine sehr positive Resonanz. "Wenn jemand überhaupt nicht mitzieht, kann es hilfreich sein, Regelverstöße zu sanktionieren – etwa, indem man bei Versäumnissen Geld in die WG-Kasse einzahlen muss", sagt Büter.
Die beiden Experten raten Mitgliedern von Wohngemeinschaften außerdem, darauf zu achten, miteinander im Gespräch zu bleiben. "Am besten vereinbart man ein regelmäßiges WG-Treffen, bei dem jeder Themen ansprechen kann, die ihm am Herzen liegen", sagt Jochen Waibel. Mindestens einmal im Monat sollten sich alle für dieses Ritual Zeit nehmen. Wichtig sei zudem, achtsam zu bleiben. "Man sollte nicht warten, bis der Zimmernachbar sich etwa über die Lautstärke beschwert, sondern selbst auch mal nachfragen: Ist dieser Geräuschpegel für Dich okay?", betont Waibel. Klar sollte außerdem sein, dass neue Situationen auch neue Regeln erfordern, ergänzt Ludger Büter. Wenn etwa ein neuer Mitbewohner einzieht oder einer mitten im Prüfungsstress steckt, müssten manche Punkte neu verhandelt werden.
"Wenn man in eine WG zieht, muss man allerdings auch bereit sein, ein bisschen locker zu lassen", betont Waibel. Im Zusammenleben mit anderen könne man nicht erwarten, seine Vorstellungen von der Gestaltung und Pflege der eigenen vier Wände präzise umzusetzen. "Menschen mit extremen Ansprüchen werden es in WGs immer schwer haben", sagt Ludger Büter. Weder ein ausgeprägter Ordnungssinn noch ein allzu lässiger Lebensstil ließen sich in einer Gemeinschaftswohnung verwirklichen.
"Man muss bereit sein, auch immer mal wieder Dinge zu tun, die einem gegen den Strich gehen", betont der Psychologe. Jeder müsse sich darüber im Klaren sein, dass er von Menschen umgeben ist, die Bedürfnisse haben – und dass man auf diese Bedürfnisse Rücksicht nehmen muss. "Allerdings unterscheidet sich die WG in dieser Hinsicht kein bisschen von anderen gemeinschaftlichen Lebensformen", gibt Ludger Büter zu bedenken, denn jede Familie, jedes Paar müsse für das Zusammenleben Kompromisse finden und Regeln festlegen. "Sogar Singles können nicht immer tun und lassen, was sie wollen – sonst gibt es Ärger mit den Nachbarn."
dapd