Köln/Aachen (dapd). Die Startbedingungen sind ungünstig, der Alltag ist schwierig und immer wieder gibt es Zoff – dennoch schaffen es viele Mütter, Väter und Kinder in Patchwork-Familien, dauerhaft füreinander da zu sein. Zuerst müssen sie sich jedoch mühsam zusammenraufen – denn von alleine wird aus mehreren Individuen keine Familie. Wie findet jeder seinen Platz, wie kommen alle zu ihrem Recht? Die Expertinnen Katharina Grünewald und Dorothee von Eckardstein wissen Rat.

"Die Herausforderung in einer Patchwork-Familie besteht vor allem darin, jedem gerecht zu werden", sagt Katharina Grünewald, die sich als Psychologin auf das Thema spezialisiert hat. "Dabei muss ich zuerst bedenken: Was brauchen meine Kinder, was braucht mein Partner, was brauche ich. Das sind schon mindestens drei verschiedene Perspektiven", sagt die Psychologin.

"Die Eltern sind hin und her gerissen: Sie müssen ihren Kindern gerecht werden, die Neugründung der Familie gestalten und selbst auch noch Entspannung finden", sagt die Pädagogin und Familienberaterin Dorothee von Eckardstein. Dabei komme es vor allem auf eine starke Paarbeziehung an: "Wenn die Partner gut miteinander kommunizieren und die Ruhe haben, sich die Beziehungen in der Familie gemeinsam anzusehen und eventuell zu verändern – dann kann die Patchwork-Familie funktionieren", sagt sie.

Doch oft werde die Paarbeziehung attackiert, sagen die Expertinnen – von den Kindern, die nach der schmerzhaften Trennung der Eltern zumindest die Zweierfamilie mit Mutter oder Vater erhalten wollen. "Wenn das Kind sagt: ‚Der Mann soll weg!‘, dann ist das ein Hinweis: Mein Kind fühlt sich bedroht. Es braucht mehr Sicherheit." Viel wichtiger als die situationsbedingten Wünsche seien die Bedürfnisse des Kindes, sagt Katharina Grünewald. Die gilt es zu erkennen und ernst zu nehmen. "Das ist die bedingungslose Liebe, die ein Kind braucht. Es heißt aber nicht, dass ich alles tun muss, was das Kind fordert oder wünscht."

Verlangt das Kind kompromisslose Loyalität, müssen Eltern und Stiefeltern gleichzeitig Halt geben und Grenzen setzen, sagt Dorothee von Eckardstein. "In diesen Fällen kommt es darauf an, dem Kind deutlich zu machen: Wir sind bedingungslos für dich – aber wir sind nicht für alles, was du tust", rät sie. Einfach ist das nicht, weiß Katharina Grünewald. "Diese Loyalitätskonflikte werden oft zu Belastungsproben, denen die neue Beziehung nicht standhält."

Ohne Positions- und Machtkämpfe geht es nicht – davon ist die Psychologin überzeugt. Die Neugründung einer Patchwork-Familie sei ein Balanceakt. "Das kriegt man nur hin, wenn jeder die Grenzen des anderen austestet, seine eigenen Bedürfnisse klarstellt, festlegt, wie viel Raum er braucht – wie bei einem Boxkampf." Nur wer diesen Kampf einkalkuliere und dafür Regeln finde, könne verhindern, dass die Situation eskaliert.

Um sich zielsicher mit Partner und Kindern auseinandersetzen zu können, müsse jeder zunächst seine eigene Haltung finden, sagt Katharina Grünewald. "Wenn ich ein festes Standbein habe – also genau weiß, was ich fühle, was ich will, wer ich bin – dann kann ich auch mein Spielbein auf die andere Seite schwingen und mir die Lage aus der Perspektive des anderen ansehen", sagt sie. Darüber hinaus müssten alle Parteien lernen, die Bedürfnisse der anderen zu erkennen und sich damit zu arrangieren. "Die Gründung einer Patchwork-Familie ist ein Prozess der Persönlichkeitsentwicklung. Man lernt, was es heißt, sich auseinanderzusetzen", sagt die Psychologin.

Um in solch unruhigen Zeiten Sicherheit zu behalten, empfiehlt sie, einige Spielregeln festzulegen – zum Beispiel nach einer halben Stunde Diskussion eine Auszeit zu vereinbaren oder abzusprechen, dass niemand den Boxring verlassen darf, bevor der Streit nicht geklärt ist. "Wenn Wut im Spiel ist und der Streit hochkocht, ist es immer gut, diese Situation nachher "einzusammeln" und mit kühlem Kopf darüber zu sprechen", rät Dorothee von Eckardstein.

Zoff ist nötig und wichtig, wenn die neue Familie zusammenwachsen soll – da sind beide Expertinnen einig. "Die Patchwork-Familien, in denen viel geredet wird und Gefühle zugelassen werden, haben gute Aussichten", sagt die Expertin.

dapd