Berlin/Dresden (dapd). Die Runen auf dem neuen Pullover des Sohnes müssen keine Nazisymbole sein. Die aggressive Musik, die die Tochter neuerdings hört, ist wohl eine pubertäre Geschmacksverirrung. Der Spruch über Ausländer war etwas daneben. Aber sollte das eigene Kind deshalb gleich rechtsradikal sein? Hinweise auf eine rechte Gesinnung zu erkennen und richtig zu reagieren, falle vielen schwer, sagen die Experten Bernd Wagner und Danilo Starosta. Sie helfen Eltern, sich dem Nazi im Kinderzimmer entgegenzusetzen.

Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, Bomberjacke, Glatze – daran könne man heute keinen Nazi mehr erkennen, sagt Bernd Wagner von Exit-Deutschland, einer Initiative für Aussteiger aus der rechten Szene. Auch Danilo Starosta, der beim Sächsischen Kulturbüro Eltern rechtsradikaler Kinder berät, sieht in der Szene kein klares Erscheinungsbild mehr. "Wir haben es mit Jugendlichen zu tun, die sich völlig im Mainstream kleiden", sagt er. Das Klischee greift zu kurz: Nicht alle Neonazis tragen Springerstiefel – und nicht alle, die Springerstiefel tragen, sind Neonazis.

Dennoch gibt es Zeichen, die Eltern stutzig machen sollten, sagen die Experten – etwa bestimmte Markenkleidung. "Hermannsland ist eine ganz klare Nazi-Marke", sagt Danilo Starosta. Thor Steinar, das lange als Lieblingsmarke von Rechtsradikalen galt, sei seit seinem Verkauf an einen Geschäftsmann in Dubai nicht mehr so en vogue – stattdessen trügen nun viele Rechte Kleider von Eric & Sons. Runen und rechte Symbole seien ebenfalls weitverbreitet, sagt Danilo Starosta. "Der Klassiker unter den rechtsradikalen Symbolen ist immer noch die Reichskriegsflagge."

"Ideologische Sortiermaschine"

Hellhörig werden sollten Eltern auch, wenn Rechtsrock aus den Stereoanlagen ihrer Kinder schallt. Musik als identitätsbildendes Medium sei extrem gefährlich, sagt Bernd Wagner, weil rechte Texte darin noch eingängiger wirkten. Selbst Essgewohnheiten könnten sich durch rechte Gesinnung ändern: Döner würden plötzlich gemieden, manchmal auch McDonald’s oder Burger King. "Da kommt eine ideologische Sortiermaschine des Alltags in Gang", sagt der Experte.

"Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg, die machen unsere Wohngegend kaputt…" – wenn Kinder am Abendbrottisch solche Sprüche klopfen, seien viele Eltern erst einmal überfordert, sagen die Experten. Den Hinweis auf offizielle Statistiken werteten die Kinder eher als Zeichen von Naivität der Eltern denn als Gegenargument – die Verschwörungstheorie, dass der Staat die Belastung durch Ausländer systematisch verschleiere, sei in der rechten Szene weit verbreitet, sagt Bernd Wagner. "Das ist das Trickmittel, mit dem der Rechtsextremismus auf Tour geht", sagt er. "Scheinbare Wahrheiten zu verkünden, von dem der Rest der Welt noch nichts weiß."

Genau das mache die Neonazi-Szene attraktiv für Jugendliche, sagt Bernd Wagner. "Sie haben das Gefühl, die Elite zu sein." Zudem sei rechte Ideologie mancherorts so verbreitet, dass Andersdenkende zu Außenseitern würden, sagt Danilo Starosta. "Die Fassade des örtlichen Friedens und der Tradition wird aufrechterhalten. Wer die vermeintliche Ordnung stört, gilt als linksextrem."

Verschwörungstheoretiker entlarven

Umso mehr müssen Eltern sich um ihre Kinder bemühen, wenn diese in die rechte Szene abzudriften drohen. "Das heißt, man muss sich selbst damit beschäftigen: Mit den Äußerlichkeiten, der Gefühlswelt und der Rhetorik", sagt Bernd Wagner. Danilo Starosta hat oft erlebt, dass Eltern in der Auseinandersetzung mit ihren Kindern kapitulierten. Für Bernd Wagner ist das keine Lösung. "Ich empfehle Eltern dringend, immer wieder nachzufragen: Warum siehst du das so?", sagt er. Wichtig sei, dass Eltern ihre Zweifel deutlich machten. Sie sollten ihr Kind dazu anzuregen, die Ideologie der rechten Gruppe kritisch zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung zu bilden, statt den Freunden nach dem Mund zu reden. Auf Verschwörungstheorien – etwa die Behauptung, Staat und Medien verschleierten Kriminalität unter Ausländern und täuschten falschen Frieden vor – sollten sich Eltern dagegen nicht einlassen. Besser sei es, solche Thesen als Instrument ideologischer Propaganda zu entlarven. "Ich versuche, den anderen als Funktionsträger einer anderen Logik darzustellen", sagt Bernd Wagner. So könnten Eltern dazu anregen, differenziert mit rechtsradikaler Ideologie umzugehen.

Wenn die Kinder verstünden, welches Kalkül hinter den Sprüchen der Neonazi-Gruppe stecke, könnten sie sich eher vom rechten Dogma lösen, sagt der Experte. "Das Ziel ist: Den Kindern muss klar werden, dass sie im falschen Film mitspielen." Eltern müssten sich auf eine langwierige und strapaziöse Entwicklung einstellen – ohne Erfolgsgarantie. Anlass für Optimismus gebe es trotzdem. "Es gibt auch Eltern, die es geschafft haben, ihre Kinder da herauszubekommen", sagt Bernd Wagner. "Wer sich aber kapitulantenhaft zurücklehnt und aufgibt, muss sich vorwerfen lassen: Du hast dein Kind aufgegeben."

dapd