Paris/Berlin (dapd). Höher, schneller, weiter – auch während der Olympischen Spiele in London kämpfen Sportler aus aller Welt wieder darum, in ihrer Disziplin die Besten zu sein. Einige von ihnen haben bereits jetzt ihre persönlichen Bestleistungen überboten oder sogar einen Weltrekord aufgestellt. Aber wo liegt die Grenze? Lässt sich die menschliche Leistungsfähigkeit unbegrenzt steigern?
"Nein", meint Jean-Jacques Toussaint vom Institut für biomedizinische Forschung und Sportepidemiologie in Paris. Er hat bereits vor einigen Jahren ausgerechnet, dass Spitzenathleten schon in einer Generation die physiologischen Grenzen des Menschen erreicht haben könnten. Bereits jetzt könne man in den meisten olympischen Disziplinen beobachten, dass die Abstände zwischen den Weltrekorden immer enger werden. Das zeige, dass sich die Höchstleistungen der absoluten Grenze der Leistungsfähigkeit annäherten.
Die Hälfte aller Weltrekorde werde sich in den nächsten 20 Jahren nur noch um maximal 0,05 Prozent steigern lassen, prognostiziert der Forscher. Das gelte sowohl für Ausdauerleistungen als auch für Sprint und andere Kurzzeitbelastungen. Für den 100-Meter-Lauf und das 50-Meter Freistil-Schwimmen der Männer könnte die Grenze nach Toussaints Ansicht schon im Jahr 2019 erreicht sein. In anderen Disziplinen gebe es dagegen noch etwas mehr Raum für Steigerungen. So soll die Leistungsgrenze beim Marathon erst um 2080 fallen, beim 1.500 Meter Eisschnelllauf der Frauen sogar erst 2099.
Auch der deutsche Sportmediziner Dieter Böning von der Charité-Universitätsmedizin Berlin glaubt nicht an unendlich steigerbare Leistungen: "Im Prinzip hat jedes biologische System seine Grenzen, auch der Mensch", erklärt er. Bei Ausdauerleistungen, wie beispielsweise dem Marathon oder anderen Langstreckenläufen, werde die absolute Obergrenze durch das Herz bestimmt. "Das Herz kann dann ab einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr", sagt Böning. Bevor es zu diesem Punkt komme, bremse aber vermutlich ein Steuerzentrum im Gehirn den Läufer aus. "Dieser zentrale Gouverneur sorgt dafür, dass das Herz nicht überlastet wird", erklärt der Mediziner. Zwar könne man diese vom Körper vorgegebene Grenze mit Doping teilweise überwinden, riskiere aber dabei seine Gesundheit.
Und auch beim Sprint – ob auf der Tartanbahn oder im Schwimmbecken – gebe es biologische Grenzen. Die enorme Schnellkraft beim 100-Meter-Lauf verdankt beispielsweise der jamaikanische Sprinter Usain Bolt vor allem seinen schnellen Muskelfasern, wie Böning erklärt. Normalerweise besteht im Körper etwa die Hälfte der Muskulatur aus diesen schnell aktivierten, aber auch schnell ermüdenden Fasern. Die andere Hälfte machen langsame, aber dafür ausdauernde Muskelfasern aus.
"Einige Menschentypen haben von Natur mehr schnelle Muskelfasern", erklärt der Sportmediziner. Dazu gehörten auch die Nachfahren der einst als Sklaven in die Neue Welt verschleppten Westafrikaner. Sie seien daher für Sprintsportarten prädestiniert. Durch langes Training lasse sich die Zahl dieser Fasern zudem in gewissem Maße erhöhen. "Aber mehr als 80 Prozent schnelle Fasern geht biologisch nicht", sagt Böning. Denn der Körper benötige eine Mindestmenge an langsamen Fasern, unter anderem für die Stützmuskulatur.
"Dass die Leistungen inzwischen in vielen Disziplinen abflachen, ist daher nicht nur ein statistisches Phänomen, sondern physiologisch bedingt", sagt Böning. Er hält Toussaints Einschätzung für durchaus realistisch, nach der die meisten Sportdisziplinen in etwa einer Generation die physiologische Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit erreichen. Steigerungspotenzial gebe es aber vermutlich noch bei den Frauen im Spitzensport. Aber auch das Ende des allgemeinen "Höher, Schneller, Weiter" schließe nicht aus, dass es nicht doch noch den einen oder anderen biologischen Ausreißer geben könne. "Bei sieben Milliarden Menschen wird es irgendwo immer mal wieder einen Menschen geben, der die bisher bekannten Grenzen sprengt", sagt Böning.
dapd