Berlin/München (dapd). In China genießt die Akupunktur hohes Ansehen, in Deutschland wird ihr von vielen Menschen immer noch ein reiner Placebo-Effekt nachgesagt.

"Zu Unrecht", sagt Professor Benno Brinkhaus, Leiter des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin: "Die aktuelle Datenlage belegt, dass Akupunkturbehandlungen positive gesundheitliche Effekte erzielen, besonders bei chronischen Schmerzerkrankungen. Und diese Effekte gehen bei einigen Indikationen über einen Placebo-Effekt hinaus." Bei Kniearthrose und Rückenschmerz übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Behandlungskosten, auch weil die Akupunktur der konventionellen Medizin hier überlegen ist, sagt der Experte: "Aber die Kosten werden nicht bei Kopf- oder Zahnschmerzen, Migräne, Allergien oder menstruellen Beschwerden übernommen, obwohl man auch hier deutliche Verbesserungen mit Akupunktur erzielen kann."

Auch wenn man weiß, dass die Nadelstiche wirken, "warum sie wirken, ist noch nicht genau geklärt", sagt Brinkhaus. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geht man davon aus, dass mit der Akupunktur blockierte Lebensenergie, das sogenannte "Qi" (sprich: Tschi) in den Leitbahnen harmonisiert wird, und damit Energiestauungen oder Fehlleitungen im Körper beseitigt werden. In wissenschaftlichen Untersuchungen hat man herausgefunden, dass die Akupunktur zahlreiche Reaktionen im Körper auslösen kann, erklärt der Experte: "Die Nadel setzt einen Reiz in die Haut. Dieser wird über Nervenimpulse weitergeleitet an das Rückenmark und das Gehirn" – und sorgt für Veränderungen im Bereich der Nadel-Einstichstelle, des Rückenmarks und des Gehirns, die messbar sind. "So wurde zum Beispiel festgestellt, dass Akupunktur im Rückenmark Fasern blockieren kann, die den Schmerz leiten." Auch eine Reduktion der Stresshormone konnte nachgewiesen werden, erklärt Brinkhaus. Die Gesundheitsorganisation WHO listet bereits über 50 Krankheitsbilder auf, bei denen Akupunktur wirken soll.

Auf Verdacht irgendwelche Nadeln setzen, das macht keinen Sinn. "Die Grundlage einer Behandlung sollte immer eine umfassende schulmedizinische Untersuchung sein", sagt Privatdozent Dominik Irnich, Leiter der Interdisziplinären Schmerzambulanz am Klinikum der Universität München. Welche Erkrankung liegt vor? Was sind die Ursachen und gegebenenfalls Begleiterkrankungen? Bietet die Akupunktur Vorteile gegenüber der schulmedizinischen Behandlung? "Deshalb macht es Sinn, sich von einem erfahrenen ärztlichen Akupunkteur behandeln zu lassen", empfiehlt Irnich, der auch das Fortbildungszentrum der deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA) in München leitet. In einem umfassenden Erstgespräch (Anamnese) wird die allgemeine Konstitution des Patienten erfasst, neben gesundheitlichen Problemen wird auch auf den psychischen Zustand geschaut. "Dazu gehört auch die körperliche Untersuchung und die Bewertung von Zunge und Puls nach TCM." Und zwar bei jeder Akupunktursitzung. "Auf diese Weise sieht man Veränderungen, kann die Therapie anpassen und gegebenenfalls korrigieren." Je nach Krankheitsbild werden passende Akupunkturpunkte am Körper behandelt, ergänzt Brinkhaus: "Ein erfahrener Arzt weiß genau, an welchen Körperstellen Nadeln eingesetzt werden müssen, um bestimmte Reaktionen hervorzurufen."

Ein guter Akupunkteur arbeitet nie in Hektik, sondern nimmt sich Zeit für seinen Patienten, sagt Irnich: "Eine Akupunktursitzung sollte in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre verlaufen, der Patient muss sich wohlfühlen." Angst vor den Nadelstichen müsse man nicht haben: "Das Setzen der Nadeln darf keinen starken Schmerz verursachen, ansonsten macht der behandelnde Arzt etwas falsch." Bei sehr schmerzsensiblen Patienten könnten sehr feine Nadeln eingesetzt werden, sodass man den Einstich kaum spüre. Alternativ könne man die Akupunkturpunkte auch mit einem Laser behandeln. "Diese Methode kann ebenfalls bei sehr sensiblen Patienten oder bei Kindern eingesetzt werden." Manchmal kommt es aber trotz aller Arztkunst zu Tränenausbrüchen, sagt der Experte: "Dann aber nicht aus Schmerz, sondern als emotionale Reaktion, wenn seelische Blockaden gelöst werden."

20 bis 30 Minuten dauert eine Sitzung, die in der Regel einmal bis zweimal pro Woche erfolgen sollte. Übernimmt die Krankenkasse die Kosten der Behandlung nicht, müssen Patienten aus eigener Tasche zahlen, pro Sitzung ca. 30 bis 60 Euro. Gesundheitliche Verbesserungen sollten sich dabei möglichst bald zeigen, sagt Irnich: "Wenn nach der sechsten Sitzung noch nichts passiert ist, ist gemeinsam zu überlegen, ob eine weitere Behandlung Sinn macht oder ob Therapiehindernisse vorliegen." Akute Schmerzen, zum Beispiel Kopfschmerzen, können meistens schon mit einer bis vier Akupunktursitzungen deutlich verbessert werden. "Bei chronischen Erkrankungen sind Wiederholungen über zwei bis drei Monate oder auch länger erforderlich", sagt Brinkhaus. Dabei ist die Akupunktur eine relativ sichere Behandlungsmethode: "Bei fünf bis sieben Prozent der Patienten entstehen leichte Nebenwirkungen zum Beispiel Rötungen an den Einstichstellen, Schmerzen während oder nach der Akupunktur oder ein Bluterguss", nennt der Mediziner die häufigsten Nebenwirkungen. "In seltenen Fällen kann bei Patienten aber auch mal der Kreislauf reagieren. Schwere Nebenwirkungen wie zum Beispiel Organverletzungen sind äußerst selten, wurden aber dokumentiert."

dapd