London (dapd). Wenn Rattenväter koksen, hat das unerwartete Auswirkungen auf ihren späteren Nachwuchs: Ihre Söhne sind nicht anfälliger für eine Kokainsucht, sondern sogar weniger gefährdet. Das hat ein US-Forscherteam entdeckt. Dürfen sie selbst entscheiden, wie viel Kokain sie konsumieren, wählen die Söhne der drogenerfahrenen Ratten geringere Dosen als ihre Artgenossen, deren Väter kein Rauschgift zu sich genommen haben. Bei den Töchtern gibt es hingegen keinen derartigen Effekt. Eigentlich hatten die Forscher angenommen, dass die Nachkommen der koksenden Väter selbst stark zu Kokainsucht neigen würden, denn ein ähnlicher Effekt ist auch beim Menschen bekannt. Im Licht der neuen Ergebnisse sollte dieser Zusammenhang jedoch dringend noch einmal genauer untersucht werden, schreiben Fair Vassoler von der University of Pennsylvania und ihre Kollegen im Fachmagazin "Nature Neuroscience" (doi: 10.1038/nn.3280).

Bei Menschen begünstigt elterlicher Kokainkonsum das Suchtverhalten

Beim Menschen wird Kokainsucht sozusagen von einer Generation zur nächsten weitergegeben: Ist ein Elternteil betroffen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Kinder später koksen. Allerdings sei völlig unklar, ob diesem Effekt eine biologische Veränderung in Erbgut oder Stoffwechsel der Nachkommen zugrunde liege oder ob das Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen, diese Neigung präge, sagen die Forscher. Um den biologischen Faktor isoliert untersuchen zu können, entschieden sich die Wissenschaftler daher für einen Test mit Laborratten: Sie setzten Rattenmännchen eine Kanüle, über die sie sich selbst durch den Druck auf einen Hebel mit einer Dosis Kokain versorgen konnten. Nach 60 Tagen wurde ihnen die Kanüle abgenommen, und sie durften sich paaren. Als der Nachwuchs erwachsen war, wurde er ebenfalls mit einer Kanüle zur Kokaininjektion versehen.

Die Väter hatten keinerlei Kontakt zu ihren Nachkommen, und die Mütter behandelten alle ihre Jungen gleich – egal, ob sie von einem koksenden Vater stammten oder von einem Kontrolltier, das kein Kokain konsumiert hatte. Jeglicher Unterschied zwischen den Würfen müsse daher auf eine biologische Veränderung zurückzuführen sein, so die These der Wissenschaftler. Tatsächlich gab es einen solchen Unterschied, allerdings nur bei den männlichen Nachkommen: Die Söhne der koksenden Väter zeigten deutlich weniger Interesse am Kokain als der Nachwuchs der Kontrolltiere. Sie fingen später an, sich selbst etwas von der Droge zu verabreichen und wählten zudem sehr viel geringere Dosen.

Veränderung in Spermien beeinflusst später Hirnstoffwechsel

Verantwortlich dafür war offenbar der Hirnbotenstoff BDNF: Dessen Konzentration lag in den Gehirnen der Söhne aus der Kokaingruppe deutlich höher als bei denen aus der Kontrollgruppe. Von BDNF sei bereits bekannt, dass er das Verlangen nach Kokain bei Nagetieren dämpfen könne, speziell wenn er wie im vorliegenden Fall in bestimmten Gehirnregionen vorliege, erläutert das Team. Zurückzuführen war die verstärkte Produktion des Botenstoffes offenbar auf eine Veränderung der Spermien bei den kokainabhängigen Rattenvätern, das zeigten weitere Untersuchungen: Dort hatte sich an bestimmten Stellen die Verpackung des Erbmaterials gelockert, so dass das Gen mit dem Bauplan für BDNF sehr viel aktiver war als normalerweise.

Gerade in Tierversuchen hätten sich bereits mehrfach generationenübergreifende Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen gezeigt, ergänzen die Forscher. Fettes Futter bei Rattenvätern sorgt beispielsweise für Probleme mit der Bauchspeicheldrüse bei den Töchtern, und zu wenig Eiweiß im Futter verändert gleichermaßen den Leberstoffwechsel bei den Nachkommen. Auch beim Menschen kennt man ähnliche Effekte. So scheint es Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu begünstigen, wenn die Großeltern in jungen Jahren Hunger gelitten haben. Dass auch Substanzen wie Kokain derartige Veränderungen auslösen können, sollte auf jeden Fall zu denken geben – und Anlass dafür sein, noch einmal gezielt nach der Ursache für das erhöhte Suchtrisiko bei Kindern abhängiger Eltern zu suchen.

dapd