Köln (dapd). Ein Coming-out ist für Homosexuelle meist nicht einfach – vor allem, wenn sie bereits eine heterosexuelle Beziehung führen und Kinder haben. Ilka Borchardt, Leiterin des Projekts "Homosexualität und Familien" beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), und Stefan Meschig von der Beratungsstelle Rubicon in Köln unterstützen betroffene Eltern. Sie helfen homosexuellen Müttern und Vätern dabei, zu ihrer Liebe zu Partnern des gleichen Geschlechts zu stehen und schwierige Fragen wie diese zu beantworten: Wie sage ich es meiner Familie?

Zunächst sollten Menschen, die sich outen wollen, mit sich selbst reinen Tisch machen, rät Stefan Meschig. Dann sollte zuerst der Partner davon erfahren. "Dort ist zunächst die stärkste Enttäuschung", sagt der Experte. Er empfiehlt, abzuwarten, wie die beiden Erwachsenen mit dem Coming-out zurecht kommen, und dann erst die Kinder zu informieren. So hätten die Eltern Zeit, eine Perspektive zu finden, wie es mit der Familie weitergehen könnte.

Für den Moment des Coming-outs sollte man eine private, vertrauliche Atmosphäre schaffen, rät Ilka Borchardt. "Nach der Eröffnung muss Zeit sein, weiterzureden", sagt sie. Wer sich schwertue, die richtigen Worte zu finden, könne die Botschaft für sich schriftlich formulieren oder mit einer vertrauten Person einen Probelauf machen. "Man sollte nicht zu sehr drum herum reden", sagt Stefan Meschig. Die Kinder sollten in einer möglichst entspannten Situation eingeweiht werden, rät er. Wichtig sei, dass beide Eltern Zeit haben, für den Nachwuchs da zu sein. Ideal sei etwa ein gemeinsamer Urlaub.

Versteckspiel ist keine Lösung

Das Coming-out vor der Familie erfordert Mut. Trotzdem sollten sich homosexuelle Väter und Mütter dazu überwinden, sobald sie sich ihrer Gefühle sicher sind, raten beide Experten. "Verstecken und Täuschen sind keine Lösung – weder für die sich outende Person noch für den Partner und erst recht nicht für die Kinder", sagt Ilka Borchardt. Und Stefan Meschig ergänzt: "Wenn man die Kurve nicht kriegt und in die Heimlichkeit abtaucht, dann wird die Hürde immer höher."

Für Betroffene sei das Coming-out oft eine große Erleichterung, sagt Borchardt. Sie sollten sich aber auch darauf gefasst machen, dass die Familie zunächst verstört und verunsichert reagiert. Viele Partner seien fassungslos, wütend oder traurig und fühlten sich getäuscht. Oft kämen Selbstzweifel hinzu: "Wieso habe ich das nicht erkannt?" Auch die Frage, ob man selbst nicht genügt habe und "schuld" sei an der Homosexualität des Partners, nage am Selbstwertgefühl.

"Für Kinder ist die Situation oft mit einer Trennung der Eltern verbunden", sagt Ilka Borchardt, "da bricht ein ganz großes Stück Stabilität weg." Stefan Meschig sieht bei Kindern vor allem die Angst, dass sie die Liebe des Elternteils verlieren könnten. "Viele fragen sich: Kann ich meinen Papa oder meine Mama weiterhin so lieb haben wie bisher? Und lieben sie mich auch genauso?" Kleinere Kinder fürchteten oft, schuld zu sein, wenn sich die Eltern trennen, ergänzt Borchardt. "Bei älteren Kindern kann es sein, dass sie sich ekeln, weil sie die Eltern erstmals überhaupt als sexuelle Wesen wahrnehmen." Den Schreck lindern könnten geoutete Eltern zunächst kaum, sagt Meschig. Das Gefühlschaos müssten alle erst einmal aushalten und verarbeiten. "Auch die Familie macht ein Coming-out durch. Die Zeit und den Raum muss man ihr auch geben", betont Ilka Borchardt.

Selbsthilfegruppen bieten Rat

Die Expertin empfiehlt, dem Partner vor allem zu signalisieren: Du bist nicht schuld, und du bist nicht allein in deiner Situation. Manchmal sei professioneller Rat willkommen – dann könnten Selbsthilfegruppen helfen, etwa die Frauengruppe "Tangiert" für Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen bi- oder homosexueller Männer, die Initiative Lesbischer und Schwuler Eltern oder "Schwule Väter Deutschland" .

Den Kindern sollten beide Eltern zeigen, dass sie weiterhin für sie da sein wollen, betonen die Berater. Sie sollten die Fragen des Nachwuchses ehrlich beantworten, aber auch selbst nachfragen, wie die Kinder sich die Beziehungen von Lesben und Schwulen vorstellen. "Fragen stellen zeigt: Ich bin an dir interessiert", sagt Ilka Borchardt.

Auf lange Sicht sollten die Eltern versuchen, sich als Elternpaar neu zu definieren. Dabei könne auch eine professionelle Beratung helfen. Manchmal sei es sinnvoll, dass ein Partner ausziehe – dies müsse jedoch nicht zwangsläufig der homosexuelle Elternteil sein, betont Borchardt. "Ich finde es sehr wichtig, dass sie die Paarebene und die Elternebene getrennt betrachten", sagt Stefan Meschig. Häufig gelinge es, ein neues Familienleben aufzubauen, sagen beide Experten.

dapd