Washington/Hamburg (dapd). Schlafmangel verändert die Aktivität mehrerer Hundert Gene, die unter anderem an Entzündungsreaktionen, am Immunsystem und an der Reaktion auf Stress beteiligt sind. Unzählige weitere Gene werden in ihrer Aktivität gedämpft. Damit konnten Forscher erstmalig einen Teil der Mechanismen erklären, die bei zu wenig Schlaf Gesundheitsprobleme verursachen. Die Studie erscheint im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.1217154110).

Seit Jahren mehren sich die Studien, die einen Zusammenhang zwischen einem unnatürlichen Schlafrhythmus und Erkrankungen wie Übergewicht, Herzleiden und mentalen Störungen belegen. Auf welche Weise der fehlende Schlaf die Beschwerden auslöst, war bislang jedoch weitgehend unklar. Forscher der britischen Universität Surrey um Derk-Jan Dijk haben deshalb bei einem Schlafentzugsexperiment die Genaktivität der Teilnehmer untersucht.

26 Freiwillige wurden für eine Woche in zwei Gruppen unterteilt, von denen eine täglich weniger als sechs Stunden, die andere bis zu zehn Stunden schlafen durfte. Die Teilnehmer der Gruppe mit Schlafmangel erwiesen sich in einem anschließenden Test als signifikant müder und ihre Aufmerksamkeit setzte häufiger aus. Direkt nach dieser Woche mussten alle Teilnehmer 39 bis 41 Stunden am Stück wach bleiben. In dieser Zeit maßen die Forscher alle drei Stunden die Ribonukleinsäure (RNA) in einer Vollblutprobe sowie stündlich den Melatoninlevel. Zugleich kontrollierte das Team um Dijk Einflüsse durch Licht, Bewegung und Nahrung.

Innere Uhr arbeitet mit Verspätung

Melatonin gilt als Marker für den zirkadianen Rhythmus, die biochemische innere Uhr, die viele Prozesse in einem 24-Stunden-Zyklus steuert. Bei der Auswertung des Experiments fanden die Forscher, dass die innere Uhr der Teilnehmer mit Schlafentzug gestört war: Der Mittelpunkt der Melatoninproduktion erfolgte rund eine Dreiviertelstunde später als bei ausgeschlafenen Teilnehmern.

Die Moleküle der Ribonukleinsäure (RNA) sind die Produkte der Genaktivität. Sie setzen das Programm um, das in der Erbinformation gespeichert ist. Anhand der Blutproben konnten die Forscher feststellen, dass 711 Gene in beiden Versuchsgruppen unterschiedlich aktiv waren. Bei den Teilnehmern mit Schlafmangel waren 444 Gene in ihrer Aktivität herunter reguliert, 267 Gene erzeugten mehr RNA als in der ausgeschlafenen Kontrollgruppe. Die in ihrer Aktivität gedämpften Gene betrafen Prozesse rund um die DNA und den Zellstoffwechsel. Gesteigert aktiv waren Gene der Zellantwort auf Stress und sogenannte freie Radikale, die unter anderem die Zellalterung beschleunigen und verschiedene Erkrankungen begünstigen.

Auch mit Blick auf jene Gene, deren Aktivität an die innere Uhr gebunden ist, fand die Studie massive Veränderungen. In der Kontrollgruppe zeigten 1.855 Gene im Tagesverlauf eine Aktivitätsspitze, die danach wieder abflaute. In der Gruppe mit Schlafmangel waren es 1.481 Gene. Selbst diese Gene waren gegenüber der Kontrollgruppe in ihrer Aktivität gedämpft.

"Die Daten legen nahe, dass molekulare Mechanismen die Effekte des Schlafmangels auf die Gesundheit übertragen", resümierten die Forscher. Sie fordern ein Umdenken im Umgang mit dem Schlafbedürfnis. Schlafdefizite wie im Experiment seien für Millionen Menschen Alltag. In den USA schlafen den Forschern zufolge mit 40,6 Millionen Betroffenen 30 Prozent der Berufstätigen zu wenig.

dapd