Berlin/Bonn/Potsdam (dapd). Rund 35 Kilo Zucker verspeisen die Einwohner Deutschlands Jahr für Jahr pro Kopf. Dabei sollten sie Zucker und mit Zucker gesüßte Lebensmittel oder Getränke nur gelegentlich verzehren, betont die Ernährungswissenschaftlerin Isabelle Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. "Ein Weniger an Zucker – chemische Bezeichnung: Saccharose – bringt oft ein Mehr an Gesundheit, zum Beispiel bessere Zähne, eine schlankere Figur oder auch ein geringeres Risiko für Diabetes mellitus."

Stevia ist bis zu 300 mal süßer als Zucker

Wer trotzdem reichlich Süßes genießen möchte, kann nicht nur zu industriellen Süßstoffen greifen, sondern seit einigen Monaten auch zu dem Süßkraut-Extrakt "Stevia". Bis zu 300 mal süßer als Kristallzucker, kalorienfrei und trotzdem ganz "natürlich", das verspricht das aus den Blättern lateinamerikanischen Süßkrauts (auch: Honigkraut) gewonnene Stevia-Pulver. Die Ureinwohner Paraguays und Brasiliens süßen seit Jahrhunderten mit Stevia-Blättern, berichtet Gisela Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Auch in Japan sei Stevia-Pulver seit den 70er-Jahren weit verbreitet. In den EU-Staaten sei der Süßkraut-Extrakt allerdings erst seit Dezember 2011 als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. "Seitdem gelten Bedenken, er könne beim Menschen Krebs erregen oder dessen Fruchtbarkeit beeinträchtigen, unter Wissenschaftlern als ausgeräumt."

Regelmäßiger Konsum kann den "Süßhunger" steigern

Unbegrenzt zu empfehlen sei Stevia allerdings ebenso wenig wie chemisch hergestellte Süßstoffe, erläutert Stefanie Gerlach von diabetesDE, der Deutschen Diabetes-Hilfe. Zwar habe der Süßkrautextrakt anders als Zucker so gut wie keinen Nährwert – weder für den Menschen noch für unliebsame Karies-Bakterien – und auch keinen Einfluss auf den Insulin- oder Blutzuckerspiegel. Aber regelmäßiger Süße-Konsum führe oft dazu, dass der "Süßhunger" der Betroffenen steige und sie nicht nur ihre Dosis vergrößerten, sondern auch die Gesamtmenge an süßen Nahrungsmitteln, die sie mit "gutem Gewissen" verzehrten. "Ein Kuchen bleibt aber ein Kuchen, mit viel Fett und wenig Gesundem, auch wenn er ’nur‘ mit Süßstoff oder Stevia gebacken wurde." Auch deshalb sei die oft als Empfehlung missverstandene Kennzeichnung "für Diabetiker geeignet" auf Produkten mit Zuckeraustausch- oder Süßstoffen inzwischen ein Auslaufmodell.

Süßstoffe und Stevia sind kein "Freifahrtschein"

Stevia-Süße verursache einen lakritzartigen, bitteren Nachgeschmack, denn sie rege auch die Bitterrezeptoren der Geschmacksnerven an. Ernährungswissenschaftlerin Olias beurteilt das Süßkraut deshalb zwar als wirksame, gesundheitlich unbedenkliche Alternative zu Zucker – "aber den vollen Zuckergeschmack kriegen Sie so nicht." Was das Essen anbelangt, gelte ohnehin: "Künstlich gesüßt heißt längst nicht immer kalorienarm oder gar gesund. Fette und Kohlenhydrate behalten ihren Nährwert – Stevia ist wie Süßstoff kein Freifahrtschein."

dapd