Saint Denis/La Réunion (dapd). Wir stehen vor einem merkwürdigen Schild. Es zeigt einen Kegel, auf dem eine Art Geweih thront. Die rote Signalfarbe hebt sich vom Grau der Umgebung ab. Im Nebel stehend, ahnen wir, dass wir uns dem Krater des Vulkans nähern. Auf rund 2.000 Metern Höhe schließlich verlassen wir unser Fahrzeug. Doch dieser Vormittag mag seine Geheimnisse einfach nicht preisgeben. Unverdrossen bahnen wir uns dennoch unseren Weg durch die grauen Schwaden, bis wir vor einem Abgrund stehen. Bei anhaltend schlechter Sicht steuern wir auf eine Treppe zu, die hinunter führt. Wohin, können wir nicht sehen.

Nach rund 20 Minuten ist ein Ende in Sicht. Wir laufen nun über versteinerte Lava, aus deren verspielten Formationen karges Gestrüpp emporragt. Ein weiteres Schild hatte die Dauer der Wanderung bis zum 2.631 Meter hohen Piton de la Fournaise auf rund drei Stunden bemessen. Also folgen wir den weißen Markierungen auf dem Gestein.

Licht in der Mondlandschaft

Plötzlich wird es hell. Innerhalb von Sekunden eröffnet sich vor unseren Augen eine Landschaft. Eine Mondlandschaft, um genau zu sein. Und in deren Mitte erhebt sich ein überraschend kleiner Krater. Leicht irritiert machen wir uns mit der Umgebung vertraut. Drei Stunden können wir doch noch nicht gelaufen sein?

Erst als wir uns umsehen, schwant uns, dass dies hier nicht die einzige Öffnung ist, durch die das Erdinnere nach außen gedrungen ist. In der Nähe erhebt sich ein weiteres Rund. Und ganz hinten am Horizont, ja das muss das Ziel der Wanderung sein. Obwohl wir wissen, dass die gesamte Insel La Réunion vulkanischen Ursprungs ist, dürfen wir ob der Vielzahl der Krater eigentlich nicht überrascht sein.

Nach der Exkursion in die Mondlandschaft schlagen wir einen anderen Weg ein. Über einen Grat wandern wir zu jener Stelle, die auch die Einheimischen aufsuchen, wenn "Le Volcan" mal wieder aktiv ist – im Schnitt zweimal im Jahr. Manchmal fließt die Lava dann hinunter bis zum Meer. Das war in Anwesenheit zahlreicher Schaulustiger zuletzt 2007 der Fall.

Ein Garten der Düfte und Gewürze

Am nächsten Tag besuchen wir Patrick Fontaine, der bei Saint Philippe einen Garten der Düfte und Gewürze unterhält. "Keine zehn Kilometer von hier", sagt er, "hat die Lava vor sechs Jahren einen ganzen Landstrich verwüstet." Sein im Südosten des Eilands gelegenes Kleinod aber blieb verschont. Und so kann er wie eh und je Besucher durch den 14 Hektar großen Garten führen.

Schon am Vormittag ist es schwülwarm hier – die Basis für eine üppige Vegetation. Fontaine begleitet uns über einen Parcours, der an Pfeffer-, Nelken- und Zimtbäumen vorbeiführt. Bald sehen wir Mangos, Vanille und Litschi. Dann tropische Blumenmeere. Und schließlich nimmt ein mächtiger Würgebaum unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. "Früher", sagt Fontaine, "sahen weite Teile der Küsten auf Réunion so aus." Damit das zumindest hier auch in Zukunft so bleibt, lehnt er alle noch so verlockenden Kaufangebote für sein Anwesen ab.

Erholung am schwarzen Strand

Nach so viel Farbenreichtum können sich die Augen am Strand von Saint Paul erholen. Der nämlich ist schwarz – der Lava sei Dank. Damit steht er in Kontrast zum Markt auf der angrenzenden Promenade, wo rote Chilischoten, Koriandergrün und saftige Früchte aufgetürmt sind. Ein guter Ort auch, um das kreolische Fast Food zu verkosten: Samosas, mit Fisch oder Gemüsecurry gefüllte Teigtaschen.

Nach diesem Abstecher in den Nordwesten nehmen wir Kurs auf die Route National 5. Diese schlängelt sich über 35 Kilometer in den Cirque de Cilaos, einem von drei Talkesseln auf der Insel. Nach 432 Kurven und manch atemberaubender Aussicht ist das gleichnamige Bergdorf erreicht. Es ist der perfekte Ausgangspunkt für die Erkundung der schroffen Bergwelt, die im Gegensatz zum Piton de la Fournaise mit einer üppigen Vegetation gesegnet ist. Das abgelegene Dorf mit seinen knapp 6.000 Einwohnern aber hat sich auch seine kreolischen Ursprünge bewahrt, die arabische, indische, afrikanische und europäische Einflüsse vereint.

Angst vor der Felswand

Zum Abschluss unseres Aufenthalts fahren wir zurück nach Saint Paul, wo wir uns einen Luxus gönnen: Mit dem Sonnenaufgang finden wir uns auf einem kleinen Flugplatz ein, wo wir Serge Farci treffen. Der Pilot wird uns die Insel von oben zeigen – an Bord eines Ultraleichtflugzeugs. Die Witterung gestattet den Start und schon bald befinden wir uns erneut über dem Talkessel von Cilaos. Nun steuert Serge mit dem winzigen Fluggerät direkt auf eine Felswand zu, über deren Rand wie eine zähe Melasse die Wolken hinwegziehen. Erst im letzten Moment gewinnen wir an Höhe.

Nach einigen Minuten dann kommt "Le Volcan" in Sicht. Aus dieser Perspektive ist die diesmal wolkenlose Mondlandschaft noch überwältigender. Der kleine Krater, den wir dort unten erklommen haben, wirkt im Vergleich zur gewaltigen Erdöffnung an der Bergspitze nur mehr wie ein Krümel. So wie die ganze Insel aus der Vogelperspektive den Eindruck erweckt, als wäre sie bei einer Art Bleigießen entstanden.

Dabei scheint sich ein ganzer Kontinent formiert zu haben – auf nur wenigen Kilometern. Mit Bergen, Schluchten, Talkesseln und Hochebenen, mit Lagunen und Stränden, die keineswegs alle schwarz sind, und mit einem stattlichen Vulkan. Da ist es nur passend, dass auf La Réunion so viele Kulturen hier zusammenleben.

(Die Reise wurde vom Tourismusbüro der Insel La Réunion unterstützt.)

dapd