Berlin (dapd). Gerade hat die Schneeeule "Hedwig" ihrem Meister Harry Potter noch ins Gesicht geblickt, jetzt dreht sie ihren Kopf, dreht und dreht ihn immer weiter, bis in die entgegengesetzte Richtung und sogar darüber hinaus. Eulen sind für die spektakuläre Beweglichkeit ihres Halses bekannt. Doch wie weit geht die Mobilität tatsächlich und welchem Zweck dient diese seltsame Fähigkeit der geheimnisvollen Vögel?
"Ganz herumdrehen können Eulen ihren Kopf nicht, sie erreichen aber immerhin bis zu 270 Grad, also drei Viertel eines Kreises", sagt Vogelexperte Julian Heiermann vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Wenn eine Eule demnach ihren Kopf rechtsherum dreht, kann sie am Ende nicht nur hinter sich blicken, sondern sogar noch bis auf ihre linke Seite. "Das Geheimnis dieser kuriosen Hypermobilität sind viele Halswirbel", erklärt Heiermann. Eulen besitzen nämlich 14 Halswirbel, der Menschen und die meisten Säugetiere haben dagegen nur 7. Deshalb schaffen wir es gerade mal, von rechts nach links zu schauen.
"Eulen sind Lauerjäger", sagt Heiermann. Um Beutetiere wie beispielsweise Mäuse nicht zu verschrecken, müssen die Jäger der Nacht leise und unauffällig sein, aber dennoch ein möglichst großes Areal überwachen. Deshalb sitzen sie regungslos da, nur der Kopf dreht sich sanft und lautlos, um ähnlich wie eine technische Überwachungseinheit die Umgebung zu scannen. "Außerdem muss der bewegliche Hals noch eine weitere charakteristische Eigenschaft der Eulen ausgleichen: ihren starren Blick", ergänzt Heiermann. Die Vögel können nämlich die Augen selbst kaum bewegen. Deshalb kann allein die Kopfdrehung die Blickrichtung ändern.
"Blickrichtung ist das eine", sagt Heiermann, "mindestens genauso wichtig ist aber die Hörrichtung", betont er. Die Augen der Eulen sind zwar äußerst scharf und lichtempfindlich, bei extremer Dunkelheit müssen die Tiere sich aber auf ihr Gehör zur Ortung von Beutetieren verlassen. "Die sogenannten Federohren, die einige Eulenarten haben, sind allerdings nicht die verantwortlichen Hörorgane", erläutern Heiermann. Es handelt sich nur um verlängerte Kopffedern, die den Tieren zur Kommunikation untereinander und zur Tarnung im Geäst dienen. Die eigentlichen Ohröffnungen liegen unter den Federn.
Die Hörorgane der Eulen besitzen zwar keine auffallend abstehenden Ohrmuscheln wie beim Menschen, aber dennoch etwas Ähnliches: den sogenannten Schleier, der von ringförmig angeordneten Federn um die Augen gebildet wird. Sie formen eine Art Schalltrichter, der Geräusche direkt zu den Öffnungen leitet. Durch die Drehung des Kopfes können Eulen dieses raffinierte Hörsystem präzise auf Geräuschquellen ausrichten und dadurch Beutetiere anpeilen. Bei der Schleiereule ist der gefiederte Schalltrichter besonders markant: Er bildet eine Herzform und verleiht dieser Eulenart ein besonders anmutiges Gesicht.
Die Kombination von gerichtetem Blick und Gehör kann sowohl das feinste Zucken eines Mäuseschwänzchens als auch das leiseste Knuspern an einem Krümel präzise orten. "Der Tod ereilt die Maus dann auf lautlosen Schwingen, denn die Federn der Eulen haben besondere Strukturen, die ein extrem geräuscharmes Fliegen ermöglichen", sagt Heiermann. Auch beim Jagdflug nutzt die Eule die enorme Beweglichkeit ihrer 14 Halswirbel: Sie kann mit ihrem Körper komplizierte Flugmanöver ausführen und dennoch den Kopf stets exakt auf die Beute ausrichten. "Die spektakuläre Flexibilität des Halses ist also ein grundlegendes Erfolgsgeheimnis der Eulen", resümiert der Vogelexperte.
dapd