Amherst (dapd). Eine US-amerikanische Biologin hat einen möglichen Grund entdeckt, warum Wölfe niemals so zutraulich werden wie Hunde: Wenn sie beginnen, die Welt zu erkunden, nehmen Wolfswelpen ihre Umgebung völlig anders wahr als ihre domestizierten Verwandten. Dadurch ist es für sie viel schwieriger, sich mit anderen Lebewesen vertraut zu machen und ihre instinktiven Ängste dem Unbekannten gegenüber abzubauen.

Erst durch jahrtausendelange gezielte Züchtung gelang es dem Menschen offenbar, diese frühe Weichenstellung zu verschieben. Damit sei die Grundlage für die häufig innigen Beziehungen zwischen Hunden und Menschen gelegt gewesen, berichtet Kathryn Lord von der University of Massachusetts in Amherst im Fachmagazin "Ethology" (10.1111/eth.12044).

Der Wolf bleibt wild

Hunde und Wölfe sind genetisch so eng verwandt, dass sie problemlos miteinander Nachkommen zeugen können. Im Verhalten unterscheiden sich die beiden Unterarten von Canis lupus jedoch deutlich: Während Hunde sehr gut mit dem Menschen kommunizieren können und eine enge Bindung mit ihm eingehen, bleiben selbst mit der Hand aufgezogene Wölfe ihr Leben lang furchtsam und unberechenbar. Warum das so ist, war bislang unklar.

Kathryn Lord vermutete die Ursache in der frühen Entwicklung der jungen Tiere. Wölfe fangen beispielsweise bereits im Alter von etwa zwei Wochen an, herumzulaufen und ihre Umgebung zu erkunden, Hunde dagegen erst nach vier Wochen. Zu dieser Zeit beginnt jeweils auch eine Lebensphase von etwa vier Wochen, in der die Sozialisation der Tiere stattfindet. Das heißt, sie lernen, welche Dinge, Gegenstände und auch andere Lebewesen in ihr Umfeld gehören und machen sich mit ihnen vertraut. Lord verglich nun, wie sich die Sinnesleistungen kleiner Hunde und kleiner Wölfe in diesem Zeitraum entwickeln und ob es dabei Unterschiede gibt. Dazu beobachtete und testete sie elf Wolfs- und 43 Hundewelpen während der ersten acht Wochen ihres Lebens. Sie setzte sie unbekannten Gerüchen und Geräuschen aus und zeigte ihnen immer wieder neue Gegenstände. Die Wolfswelpen beobachtete sie in einer Forschungseinrichtung, die der natürlichen Umgebung der Wölfe entsprach.

Erste Schritte ohne Hör- und Sehsinn

Das Ergebnis: Sowohl Hunde als auch Wölfe entwickeln ihren Geruchssinn ab einem Alter von etwa zwei Wochen. Nach vier Wochen können sie zusätzlich hören, nach sechs Wochen schließlich nutzen sie auch ihre Augen. Das bedeute, dass junge Wölfe bei ihren ersten Ausflügen in die Umgebung noch blind und taub sind und sich ausschließlich auf ihren Geruchssinn verlassen müssen, erläutert die Biologin. Kommen schließlich die anderen Sinne hinzu, ist die Sozialisierungsphase bereits so gut wie abgeschlossen. Daher erscheinen einem jungen Wolf erst einmal alle Geräusche und Gegenstände bedrohlich, da er sich nicht mit ihnen vertraut machen konnte. Hunde dagegen verfügen während ihrer Sozialisierungsphase bereits über alle Sinne, führt Lord aus. Sie können sich daher ein vollständiges Bild ihrer Umgebung machen und problemlos lernen, mit Menschen, Pferden oder sogar Katzen gut auszukommen.

Entstanden ist der Unterschied offenbar im Lauf der vielen tausend Jahre, die Mensch und Hund bereits zusammenleben. Denn es ist mindestens 15.000 Jahre her, dass sich der Ur-Hund aus dem Wolf entwickelt hat. Damals lungerten vermutlich immer wieder Wölfe in der Nähe menschlicher Behausungen herum und die Menschen erkannten, dass sich die Tiere gut als Wächter und Jagdhelfer eigneten. Durch gezieltes Züchten der besonders zutraulichen Exemplare habe sich das Sozialisierungsfenster dann nach und nach verschoben. So seien wohl die anhänglichen Hunde entstanden, erklärt die Biologin.

dapd